Fühl‘ alles!
Oder: Fuck Positivität
Gerade in den letzten zwei Jahren haben mir so einige Leute den Rat gegeben, meine Angst einfach mal wegzuatmen, loszulassen, dem Universum zurückzugeben. Ähnliches höre ich auch des öfteren, wenn es um Trauer, Wut, Scham… geht. Bei mir haben diese Ratschläge schon mein ganzes Leben lang, immer noch mehr Angst, Trauer, Wut und Scham ausgelöst. Zum einen, weil mir das ‚weg‘ noch nie begegnet ist, wohin diese unakzeptablen Emotionen ziehen sollen. Und zum anderen, wollte ich sie auch nie wirklich hergeben. Sie waren halt meine. Sie sind meine.
Was ich bereits als Kind als Wahrheit gefühlt habe, kann ich nun als Emotionscoach nur bestätigen: (Zwangs-)Positivität nervt. Sie ist übergriffig. Und vor allem bringt sie uns nicht weiter.
Unsere Emotionen zu unterdrücken oder uns von ihnen abzuwenden untergräbt unsere Fähigkeiten, mit der Welt, wie sie ist, umzugehen, meint Susan David (Gründerin des Coaching Instituts an der Harvard University). Sie meint sogar, dass Positivität die neue moralische Korrektheit sei und nennt Depressionen und Angstzustände als mögliche Auswirkungen von dem täglichen Druck, ‚immer-schön-positiv-zu-bleiben‘.
Du atmest. Du meditierst. Du schreibst Dankbarkeitslisten. Und fühlst dich immer noch ängstlich, wütend, traurig und nun kommt auch noch eine extra Portion Scham dazu, dass du es nicht hinkriegst. Alle anderen scheinen es doch auch hinzukriegen und lächeln so wunderbar befreit positiv auf ihren Instagram Fotos.
Es ist noch nie etwas wirklich ‚weggegangen‘, weil wir es ‚weggedrückt‘ haben.
Was aber bringt dich denn weiter? Wie kannst du mit negativen Emotionen so umgehen? Weil toll fühlen sie sich nun einfach mal nicht an!
Emotionen sind deine Bodyguards
Bevor wir hier weitergehen – erstmal: es gibt keine positiven und negativen Emotionen. Sie sind alle auf deiner Seite. Sie wollen alle einfach nur dein Überleben sichern, indem sie dich auf deine Bedürfnisse hinweisen. Ob du willst oder nicht.
Es gibt angenehme und unangenehme Emotionen – also Emotionen, die wir als angenehm oder unangenehm empfinden. Emotionen an sich sind reine neuro-biologische Vorgänge. Wie wir sie als Gefühle erleben, ist erlernt. Es gibt auch Menschen, die (übermäßige) Freude unangenehm empfinden oder sich auch in Wut oder Trauer sehr wohl fühlen.
Und alles, was wir gelernt haben, können wir auch wieder neu-lernen. So lange wir leben. Toll, was?!
Daher – lass uns von hier an von angenehmen und unangenehmen Emotionen sprechen, so wie du sie empfindest.
Also zurück zur Frage – was hilft denn jetzt aber, mit unangenehmen Emotionen umzugehen.
Ach, wie gut, dass niemand weiß…
Der Rumpelstilzchen – Effekt. Benenne die Emotionen als erstes mit Namen. Umso spezieller du bist, um so besser. ‚Gestresst‘, ist nicht unbedingt speziell. ‚Unsicher, hilflos, wütend…‘ sind da eher punktgenau.
Nimm dir einen Moment Zeit einfach nur zu benennen, was in dir gerade umherschwirrt. Fang ruhig mit der ‚lautesten‘ Emotion an, die in dir ruft ‚hier, hier, hör mir zu‘. Benenne sie einfach erstmal nur mit Namen. Und dann schau dir an, wer sonst noch ruft.
Probiere gern einmal in einer blöden Situation einfach nur die unangenehme Emotion beim Namen zu nennen. Wenn ein anderer Mensch dabei ist, mit dem du dich sicher fühlst, tue dies gern auch laut.
Ich weiß noch, wie ich einmal in einer angehalteneBerggondel mit ungefähr 10 anderen Leuten einfach laut herausplatzte: Boah, hab ich Schiss! ‚Ich auch, ich auch, ich auch…‘ füllte den hin und her schwankenden Raum in der Höhe. Dann lachten wir ängstlich aber gemeinsam.
Und nun…
Let it be…
„Vielleicht ist diese einfach nur der Zeitpunkt, an dem du Angst hast.“
– Meine Hebamme zu mir während der Geburt meines Sohnes
Dieser Satz meiner wunderbaren Hebamme hat mir nicht nur geholfen, meinen Sohn entspannter und selbstsicherer in die Welt zu tanzen (yep, ich habe ein Reggae-Kind), sondern begleitet mich hilfreich bis heute. Ist gerade einfach nur der Zeitpunkt, an dem ich Angst / Wut / Scham / Trauer habe… Ist nur ein Zeitpunkt. Nix muss weg. Nix muss besser. Ist gerade nur die Station, an der ich vorbeifahre.
Frage an dich: welche Situation fällt dir in deinem Leben ein, wo es für dich vielleicht auch einfacher gewesen wäre, wenn du nicht so viel Kraft darauf verschwenden hättest müssen, die unangenehmen Gefühle ‚wegzumachen‘?
Wenn du mit mir bereits ein Coaching oder Workshop mitgemacht hast, kennst du sehr wahrscheinlich die RAIN Übung nach Tara Brach. Nachdem du eine der gefühlten Emotionen benennst, begrüßt du sie mit einem Ja.
Das Ja bedeutet nicht, dass du dich immer so fühlen musst oder es toll oder richtig findest. Sondern nur ein Ja zu der Emotion, weil sie gerade da ist. Du musst sie nicht erklären, nicht lösen, nicht entschuldigen… Einfach nur begrüßen – da bist du gerade, das fühlst du gerade. Nicht mehr. Nicht weniger.
Hol‘ das ganze Team zusammen und lass sie reden
Hol dir die Übersicht hier als PDF.
Manchmal kann es dir helfen, diese fünf Grundemotionen abzufragen, um eine Balance und einen Ausgleich.
Vielleicht ist deine dich stressende Emotion ja hier schon dabei. Fang mit ihr an, egal ob sie hier dabei ist oder nicht.
Lass sie reden. Ohne Punkt und Komma. Sie muss sich nicht kleiner machen. Sie muss sich nicht relativieren. Nicht erklären. Sie darf einfach nur ausreden.
Wenn sie ausgeredet hat, nimmst du die nächste. Entweder die am zweitlautesten ruft oder auch gern nach Lust und Laune.
Halt dabei je Emotionen einen Finger mit der deiner anderen Hand fest.
Nimm dir gern Zeit. Lass die Emotionen ausreden. Fühl für jede Emotion in deinem Körper nach. Wo spürst du sie? Wie fühlt sie sich an. Bleib mit ihr für einen Moment sitzen. Lass sie einfach nur sein. Erlebe, dass du das aushalten kannst.
Emotionen sind irgendwann leer gefühlt. Für den Moment jedenfalls. Sie dauern selbst im Extremfall nie mehr als maximal 20-30 Minuten.
Es ist das Verdrängen. Der ewige Kampf Emotionen zu unterdrücken. Der Versuch uns zusammenzureißen. Das ist es, was länger dauert und manchmal scheinbar ‚ewig‘.
Lies dazu gern auch meinen BlogArtikel – Wenn ich erstmal anfange zu fühlen…
Schmeiß‘ den Mythos in den Müll
Ach, all diese Mythen…
Angefangen beim Mythos von ’schön sachlich bleiben‘, was eigentlich immer bedeutet nicht zu fühlen.
Den Mythos davon, dass du negative Emotionen einfach außen vor halten brauchst, um ein glückliches Leben zu führen.
Ach und natürlich auch den Mythos, dass es im Leben darum geht, Glück zu fühlen. Nö.
“Being fully human is not about feeling happy, it’s about feeling everything.”
― Untamed
Lass uns diesen Stress der ZwangsPositivität hinter uns lassen. Die Energie kannst du viel besser für andere Dinge nutzen, die dich auch wirklich weiterbringen.
Zum Beispiel…
Mit deinen Emotionen als Team zusammenwachsen
Dafür kannst du so einige Dinge tun…
- Dir täglich ein paar Minuten nehmen und einchecken, wie es dir gerade geht. Nachfühlen. Benennen. Sein lassen. Damit einen Moment sitzen bleiben.
- Dich weiterbilden, was Emotionen angeht: es gibt bei mir immer wieder Empfehlungen für Bücher, Podcasts, TED Talks… Und natürlich auch mein Blog und meine Instagram Seite.
- Dich begleiten lassen: wenn du es nicht allein tun möchtest, such dir eine Begleitung – egal ob als Gruppe, Freund:innen oder Coach. Zum Beispiel die Jesta Phoenix… Die macht irgendwas mit Emotionszeug…
Aus meinem Angebot für dich:
Der Weitblick
90 Minuten, in denen du von mir eine Einführung ins Emotionscoaching bekommst und deine ersten Tools ausprobieren kannst.
Das geht auch ohne Vorgespräch. Meld dich einfach bei mir und wir machen einen Termin aus.
Alle meine Coaching Angebot im Überblick.
Links und Empfehlungen
@emotionszeug auf Instagram
Download – Emotionale Erste Hilfe (PDF) – Jesta Phoenix (Weitere Downloads findest du in meiner Toolbox. Das aktuell Passwort bekommst als Coaching Klient:in direkt von mir oder findest es als Newsletter Abonnent:in im letzten Newsletter).
Wenn ich erstmal anfange zu fühlen… (Blog Artikel) Jesta Phoenix
Untamed – (Buch) Glennon Doyle
Why we should no to positivity – and yes to our positiv emotions – (Blog Artikel) ideasTED by Daryl Chen und Julia Fawal
Emotional Agility: Get Unstuck, Embrace Change, and Thrive in Work and Life (Buch) von Susan David
RAIN – Blog Artikel mit Audio Anleitung von Tara Brach
Photo by Gaelle Marcel on Unsplash
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