Wenn ich erstmal anfange zu fühlen, hört das nie wieder auf…
‚Wenn ich erstmal anfange zu fühlen, komme ich da nie wieder raus. Da hat sich so viel angestaut…‘
So oder ähnlich habe ich das schon oft in meinen Vorgesprächen mit Klient:innen gehört: die Angst, dass Emotionen einmal ‚freigelassen‘ die Herrschaft übernehmen. Für immer…
Aber Emotionen sind keine Sackgasse, Höhle des Schreckens ohne Ausgang, aus der du nie wieder herauskommst und dich für immer und ewig verläufst.
Emotionen sind Tunnel, die du durchfährst, durchspürst und am anderen Ende wieder herauskommst.
In diesem Blogartikel erzähle ich dir, wie du die Tunnelfahrt für dich nutzen kannst, damit deine Emotionen und du wieder ein super Team werden.
Schalt mich an und schalt mich aus…
In meiner Zeit als Autorin für Theater und Film habe ich mich regelmäßig in intensive Gefühle gebracht, um Szenen in der ersten Fassung in emotionaler ‚Übergröße‘ zu schreiben (und später auf Normalniveau umzuschreiben).
Wie auch Schauspieler:innen habe ich durch Erinnerungen, Fotos, Musik… in mir bestimmte Emotionen getriggert. Manchmal habe ich auch den Ort des Schreibens entsprechend angepasst (dunkler Keller, Fernsehturm, Kajak). Aber immer für einen klaren Zeitraum (mit Timer). Und mit klarem Ausgangsritual zurück ins ’normale‘ Leben.
Was mich dieses reguläre Werkzeug gelehrt hat, ist dass Emotionen etwas sind, die nicht nur über mich hereinbrechen können, sondern auch etwas sind, das ich bewusst nutzen kann.
So wie Morrie, der Held einer meiner Lieblingsbücher. Morrie hat eine degenerative Krankheit und weiß, dass er nicht mehr lange leben wird. Und trotzdem ist er einer der lebensverliebtesten Personen, die sein ehemaliger Student kennt. Als er Morrie fragt, ob er denn gar nicht traurig oder wütend ist, weil sein Leben sich dem Ende zuneigt, erzählt Morrie, dass er durchaus traurig ist. Jeden Morgen, wenn er aufwacht und den Baum vor dem Fenster sich im Wind wiegen sieht und hinter ihm seine Frau leise im Schlaf schnarcht, dann wird er sehr traurig. Und auch wütend. Er tut sich selbst leid und fragt sich, warum gerade er gehen muss. Aber diese Emotionen erlaubt er sich nur für eine kleine Weile. Und dann steht er auf und lebt seinen Tag. Denn noch ist er am Leben…
Ich gehe oft Morries Beispiel nach und nehme mir in sehr intensiven Zeiten meine täglichen Morrie 15 Minuten geballt Ladung Emotionen. Tür zu, Timer an und dann die Emotionen bis zum Anschlag durchfühlen. Mich fallenlassen. Weinen. Wüten. Unter der Bettdecke verstecken… Oft bekomme ich die 15 Minuten gar nicht voll und bin schon früher ‚fertig‘.
Danach geht es mir stabil genug, um meinen restlichen Leben nachzugehen. Die Emotionen wissen, dass sie ihre Zeit bekommen und platzen nicht einfach mal so quer rein.
Treue Bodyguards: Nie vorbei oder immer wieder neu in Schach gehalten?
Elizabeth Gilbert hat in ihrem TED Interview eine interessante Beobachtung einer Seelsorgerin über heftige Emotionen erzählt. Diese Seelsorgerin fährt mit der Polizei zur Familie von Todesopfern, um sie beim Erhalt der schrecklichen Nachricht zu begleiten. Was ihr aufgefallen ist, ist das das erste Zusammenbrechen mit Weinen, Schreien, Halt verlieren… nie länger als 20 bis 30 Minuten dauert. Danach stellen die Menschen klare Fragen, sortieren ihre nächsten Schritte und können ein Gespräch halten. Dinge, die zuerst nicht möglich waren. Rein physikalisch ist der Moment heftiger Emotionen gar nicht länger möglich. Irgendwann ist es vorbei…
Mein persönliche Beobachtung ist, dass unsere Erfahrung ‚es geht nie vorbei‘ nicht auf die heftig-wütende Emotion basiert, sondern darauf, dass die Emotionen immer wieder hochkommt. Sie kommt hoch und wird wieder runtergedrückt. Verdrängt. Mit logischen Argumenten belegt (Ach, hab dich doch nicht so, das ist doch jetzt nicht so schlimm, schon lange vorbei, andere kriegen das auch hin…). Manchmal kommen unsere Emotion schon gar nicht mehr hoch ins Bewusstsein, sondern vegetieren unter einem Mantel von Taubheit in uns herum. Und dieser Mantel differenziert aber nicht zwischen ‚guten‘ und ’schlechten‘ Emotionen. Er benebelt alle. Und wir hören einfach auf zu fühlen.
Es sind nicht die unangenehmen Emotionen aus denen wir nicht herauskommen. Es ist das Ping-Pong das wir kreieren mit unserer ständigen Verdrängung. Die Emotionen kommen immer wieder hoch, weil sie nicht dürfen. Weil sie doch aber unbedingt wollen. Weil sie unsere Bodyguards sind. Weil sie uns am Leben erhalten möchten. Sie erhalten uns am Leben, weil es ihr Job ist, uns auf unsere Bedürfnisse hinzuweisen. Und diesen Job nehmen sie sehr ernst. Egal, wie oft wir sie ignorieren, wegschicken, verdrängen…
Und das geht nie vorbei.
Emotionen haben sich irgendwann ‚ausgetobt‘. Und ja, immer wieder mal. Und ja, manchmal auch zum unpassenden Zeitpunkt. Aber, sie wollen eigentlich nur, dass du ihnen eine Weile zuhörst und sie sein lässt. Sie wollen nicht deine Entscheidungen treffen. Nur, dass du sie bei deinen Entscheidungen mit berücksichtigst.
Mein Tipp: Probier es mal aus…
Du kannst es gleich jetzt mal ausprobieren. Ganz spontan und jederzeit. Du kannst dir auch gern vorstellen, dass du eine Szene schreibst oder spielst, die diese Hauptemotion hat. Schaffe dir einen sicheren Raum. Nimm dir gern Hilfsmittel zur Hand, die die von dir gewählte Emotion in dir triggern (Musik, Fotos, bestimmte Erinnerungen oder Gegenstände).
Wähle für die Übung auch gern eine Emotion aus, mit der du dich schon sicher fühlst.
Vor allem aber lege dir vorher eine Exit-Strategie zurecht. Einen Timer, zum Beispiel, der dich durch ein Audiosignal daran erinnert, dass du dir das hier ausgesucht hast und nach einem bestimmten Zeitraum auch wieder entscheidest, es zu verlassen. Ein Glas Wasser. Ein bestimmter Duft. Oder auch ein Ortswechsel. Was auch immer dir hilft den Übergang zurück klar zu gestalten.
Wozu das Ganze?
Ich kann dir hier viel erzählen. So lange du es nicht erlebt hast, dass Emotionen etwas sind, die nicht ewig in dir umherwüten, so bald du ihnen zuhörst und sie lässt, wirst du es für dich nicht glauben. Erst das Erleben gibt dir die Sicherheit, die du brauchst dich im ‚Ernstfall‘ darauf einzulassen.
Ganz wichtig: diese Übung ist nur für Emotionen jenseits von medizinischen Störungen (z.B. Panikattacken) und Traumata gedacht. Diese gehören in vertrauensvolle therapeutische Begleitung.
Was hat sich bei dir unterm Mantel angesammelt?
Was hat dieser Blogartikel bei dir angestoßen? Kennst du das Gefühl, Emotionen zurückzuhalten, weil du Sorge hast, dass sie dann unkontrollierbar ausbrechen? Gibt es bei dir Emotionen, denen du immer wieder den Mund verbietest, weil du glaubst, sonst übernehmen sie dein Leben?
Vielleicht gehst du auch gerade durch eine intensive Zeit, in der eine oder mehrer Emotionen regelmäßig auftauchen: Trauer, Angst, Wut… Und vielleicht gibst du dich ihnen auch immer wieder hin – so halb, mit einem schlechten Gefühl…
Probiere gern mal die Morrie-Methode aus und gib diesen Emotionen, die eh ständig auftauchen einen festen Platz, der ihnen sicher ist. Sorge gut für dich in dieser Zeit und genieße vielleicht sogar, die regelmäßige Sicherheit, dass deine Emotionen sein können ohne, dass du sie verdrängen und ‚wegmachen‘ musst.
Und wenn du dich dabei einfach nur überfordert fühlst oder dir auch so Begleitung bei den Anfängen wünschst, dann gibt es ja auch noch mich…
Wir beide…
Auch wenn dein Tunnel erstmal nur wie ne Hölle aussieht. Ich helfe dir die für dich passende Stirnlampe zu finden und begleite dich so lange, bis du das Licht am anderen Ende selbst erkennen kannst.
Immer wieder selbst erkennen kannst.
Lass uns gern mit einer Einzelsession anfangen und sammeln und sortieren – so sind deine Bodyguards und du wieder ein gut eingespieltes Team.
Links und Empfehlungen
Tuesdays with Morrie – Mitch Albom (Roman, in jeder guten Buchhandlung bestellbar, Englisch und Deutsch)
‚It’s OK to feel overwhelmed. Here’s what to do next‘. TED Interview with Elizabeth Gilbert
Photo by Kévin JINER on Unsplash
EmotionszeugPost abonnieren…
Du bekommst:
- jeden Blogartikel direkt in dein Email Postfach 15 Tage bevor er hier offiziell erscheint
- Zugang zum kostenlosen monatlichen begleiteten online Co-Working für Aufgaben, die für dich emotional herausfordernd sind
- Zugang zur Online Toolbox mit kostenlosen Downloads für dich
- Neue Tools direkt als Teil deines Newsletters
- Wenn es etwas anderes zu berichten gibt – einen 10Zeiler mit allen Infos kurz und auf den Punkt
Hinterlasse einen Kommentar
An der Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns deinen Kommentar!