Verantwortung ist nützlicher als Schuld…
Rassismus…
Homophobie, Transphobie…
Sexismus…
…und, und, und…
Jede Form von Diskriminierung verletzt Menschen. Grenzt Menschen aus. Enthebt Menschen ihrer Grundrechte. Nimmt Menschen ihre Würde. Jede Form… Vor allem aber wenn sie institutionalisiert ist – tief in uns, unseren Gesetzen, unserer Geschichtsschreibung, unserem (Selbst-)Verständnis der Welt, unseren Werten und Normen verankert ist. Auch dann und vor allem auch dann, wenn sie uns gar nicht bewusst ist als eine Entscheidung, die wir treffen.
Tupoka Ogette nennt in ihrem Buch ‚Exit Racism‘ Happiland, den Zustand in den wir entschwinden, wenn wir die Realität des Rassismus nicht mehr anerkennen wollten und es doch lieber ‚alles schönschön gutgut‘ haben wollen. Egal, welche Menschen dieses Bedürfnis nach ‚Ist doch heute gar nicht mehr so schlimm‘ die Anerkennung ihrer täglichen Realität kostet.
Ob du dich bewusst dafür entscheidest ‚ein schlechter Mensch‘ zu sein oder nicht, macht in dem Moment, wo deine Handlung die Grenzen und Rechte eines anderen Menschen verletzten, keinen so großen Unterschied…
Yep! Wie du es gemeint hast, ist zweitrangig. Wie es ankommt und was es für einen anderen Menschen anrichtet, steht an erster Stelle.
Ignoranz (es nicht besser wissen zu wollen) und Arroganz (die Überzeugung, es nicht besser wissen zu müssen) verletzten Menschen.
Nein, dass du einen anderen Menschen verletzt hast, ist nicht alleiniger Maßstab dessen, ob du ein guter Mensch bist. Ob, du daraus lernst und dein Verhalten änderst schon.
Und für eine Verändern deines Verhaltens braucht es vor allem erstmal das Anerkennen der Verletzung der anderen Person. Punkt.
Ohne ‚Ich hab’s doch nicht böse gemeint…‘. Ohne ‚Woher soll ich denn das wissen…‘. Ohne ‚Aber ich bin doch nicht… (rassistisch, sexistisch, homophob, transphob…)‘.
Es ist nicht die Verantwortung der anderen Person ’sich nicht so zu haben‘, damit du dein Selbstbild als guter Mensch aufrecht erhalten kannst.
Puh…
Also ist es doch unmöglich, niemanden jemals zu verletzen und auszugrenzen? Ja…
Aber es ist nicht unmöglich zu lernen, zuzuhören, zu fragen, sich selbst zu hinterfragen und ein neues (Selbst-)Verständnis und Verhalten zu erlernen.
Aber wie kommst du dahin? Wo kannst du einen Anfang finden?
Von Schuld über Trauer zu Wut & Verantwortung & Aktion…
Wenn du bei der Schuld in die Scham abrutschst, führt das alles nirgendwohin. Jedenfalls nicht da hin, wo etwas besser wird.
Du bist ja nicht schuld? Na, dann ist ja gut und weiter geht’s wie bisher.
Sich hilflos fühlen angesichts einer großen komplexen Ungerechtigkeit ist menschlich. Reicht aber nicht mehr.
Schuld ist eine Abkürzung. Scham auch.
Verantwortung ist viel aufregender und bringt auch die notwendige Aktion mit.
Über die Trauer…
Über das durchfühlen von all dem Schmerz, den uns die Ungerechtigkeit, den Hass, die Gewalt, die Zerstörung, die Angst, den Terror… Nicht denken. Fühlen. Im ganzen Körper.
Egal, ob es sich an diesem Punkt um Schmerz handelt, den du selbst (unbeabsichtigt) zugefügt hast oder dessen Zeug:in zu wurdest. Wenn du das Unrecht als solches erkennst und daraus Gerechtigkeit entwickeln möchtest, brauchst du die Station Trauer dazwischen.
Das ist viel. Das haut dich vielleicht sogar um.
Aber wozu?
Weil der Weg über die Trauer uns das für uns herausdestillieren lässt, was wir an Wert verloren haben. Was in all dem Schlimmen das ist, was für uns Wert hat: Gerechtigkeit, Loyalität, die Würde jedes einzelnen Menschen…
Erst durch das Sitzen mit der Trauer, sortiert sich in uns die Verletzung zu etwas, das wir durch Verantwortung und Fokus in die Tat umsetzen können.
Glennon Doyle erzählt in ihrem Buch Untamed wie sie an dem Tag, wo sie von den Kindern hörte, die ihren Eltern an der südlichen Grenze der USA entrissen und eingesperrt wurden, sich um 15 Uhr ins Bett legen musste.
Ihr Kinder fragten, ob sie OK sei. Ihre Frau Abby Wambach antwortete ihnen: Ja, sie wird OK sein.
Glennon schlief. Bis morgens um 3Uhr. Dann stand sie auf und nutzte die in ihr geformte und geordnete Wut, um in klare und fokussierte Aktion im Außen zu gehen: Gelder zu sammeln, Anwält:innen zusammenzustellen und rechtlich und aktiv diesen Familien zur Seite zu stehen und Eltern und Kinder wieder zusammenzubringen.
Nachdem sie 12 Stunden mit ihrer Ohnmacht und Trauer, wie im Nichts schwebte… Nachdem sie all diese Energie der Emotionen im Ruhezustand durch ihren Körper durchspülen ließ, um sich in etwas zu verwandeln, das Aktion in die Welt bringt.
Zu Wut & Verantwortung & Aktion…
Wo drehst du dich auf der Stelle?
Wo kommst du nicht weiter mit deiner bloßen Wut, die nur noch zerstören möchte?
Oder deiner Scham, die dich nur noch im Bett verkriechen lassen möchte (weil du eh, alles falsch machst und nicht genügst)?
Oder deiner Schuld, die dich darauf fokussiert, die EntSchuldigung bei denen zu erreichen, denen das Unrecht widerfahren ist, das gegen deine Werte verstößt?
Zerstörerische Wut hat ihren Platz. Manchmal brauchen wir dieses Zurück auf Null, um wieder Neu aufzubauen. Selten ist aber rasende Wut so klar auf Neubeginn geeicht. Sie erhofft sich den eigenen Schmerz durch den Schmerz, der den anderen zugefügt werden soll, lindern zu können. Noch nie ist ein Schmerz allein dadurch gelindert worden, weil wir ihn jemand anderen auch zugefügt haben. Diese Art der Wut beginnt nur einen neuen Kreislauf von Schmerzen…
Wut, die zielgerichtet neues in die Welt bringt braucht den Zwischenhalt im Ruheraum der Trauer.
Scham, die unser Verhalten an unsere Werte anpassen möchte bringt uns weiter, als Scham, die uns aussteigen lässt und somit jeglicher Verantwortung entzieht.
Schuld, die den Verletzten die Verantwortung in den Schoß legt, uns doch bitte zu entSchuldigen (weil wir sind ja nicht schlecht, böse, haben’s auch schwer…), ändert nichts an der Dynamik und dem Kreislauf der Diskriminierung, des Hasses, der Gewalt… Wir entSchuldigen uns, indem wir in die Verantwortung gehen.
Was heißt das?
Das entscheidest du. Was bedeutet für dich Verantwortung? Fang am besten mit dieser Frage an…
Hier ein paar Dinge, die Verantwortung für mich bedeuten:
- meine Demut, dass ich lange nicht genug weiß, was Diskriminierung für die Menschen bedeutet, die sie (täglich) erleben.
- dass ich meine eigenen Diskriminierungserfahrungen nutzen kann, um komplexe Verhältnisse nachzuvollziehen, diese aber mir nicht das Recht gibt, zu wissen, wie andere Diskriminierung erfahren und was es für sie bedeutet.
- denjenigen, die Diskriminierung erfahren zuzuhören. Es gibt genug Stimmen via Bücher, Podcasts, Workshops… die wir nutzen und wertschätzen können (siehe Links & Empfehlungen für (m)eine kleine Auswahl.
- zu respektieren, dass jemand nicht erst dann Diskriminierung erfährt, wenn diese Person es mir auch erklären und beweisen kann und das zu jeder Zeit. Niemand hat mir Rede und Antwort zu stehen. Auch wenn ich neugierig bin und es gern wüsste. Nein, ich darf nicht doch nur mal fragen, wann und wen auch immer ich will…
- Zu meiner eigenen Fehlbarkeit, Ignoranz und auch Arroganz stehen und diese nicht zum Anlass nehmen, einer anderen Person ihre Realität abzusprechen, weil es mir dann leichter geht. Ich verhaue es. Oft. Und manchmal verletzt und diskriminiert das eine andere Person. Und dafür übernehme ich die Verantwortung. Und daraus lerne ich. Hoffentlich…
Was bedeutet Verantwortung für dich?
Was wird für dich möglich, wenn du dich für die Verantwortung entscheidest statt in Schuld und Scham und Verdrängung stecken zu bleiben?
Was ermöglichst dir die Trauer?
Links & Empfehlungen
Tupoka Ogette:
Weitere Herzensempfehlungen:
Sprache und Sein von Kübra Gümüsay
Untamed von Glennon Doyle
Was Weiße Menschen nicht über Rassismus nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten – Alice Hasters
I’m still here – Austin Channing Brown
Weißabgleich – Podcast
Photo by Marcel Strauß on Unsplash
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